Wie wir altern – Wissen to go | Von Maike Skerstins

3 Fragen – 3 Antworten

Wie werden wir uns in der Zukunft behandeln lassen? Prof. Dr. Britta Böckmann ist als Professorin für Medizinische Informatik an der Fachhochschule Dortmund tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Telemedizin und Telematik, Entscheidungsunterstützung und KI (Künstliche Intelligenz) sowie e-health (computergestütztes Gesundheitswesen). Im Kurzinterview stellt die Wissenschaftlerin ein fiktives Zukunftsszenario vor, wie bereits heutige Technologien zukünftig in der medizinischen Versorgung eingesetzt werden könnten.

Prof. Dr. Britta Böckmann | Quelle: privat

Welche Rolle wird die Digitalisierung in der medizinischen Versorgung spielen – mit Blick auf die älterwerdende Gesellschaft?

Britta Böckmann: „Eine wesentliche Rolle spielt die Digitalisierung hinsichtlich der Transparenz und Verfügbarkeit von Informationen. Gerade ältere Menschen sind beispielsweise oft multimorbid, also an mehreren Krankheiten erkrankt, sodass für eine gut eingestellte Medikation entscheidend ist, dass alle an der Behandlung Beteiligten Informationen abrufen können. Die jetzt von der Bundesregierung geplante elektronische Patientenakte wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Entscheidend ist allerdings, dass in der Umsetzung zum einen der Datenschutz und die Freiwilligkeit berücksichtigt wird. Zum anderen gerade für Ältere die Möglichkeit besteht, das Management dieser Technologien auch an vertraute Personen abzugeben. Darüber hinaus sind für Ältere Konzepte interessant, die sich mit mobilen Technologien wie Smart Watch beschäftigen mit dem Ziel, länger selbstbestimmt zu Hause leben zu können. Mobiler Notruf, telemonitorische Überwachung von Vitalparametern oder die Möglichkeit, per Video mit Pflegefachkräften oder medizinischem Personal Kontakt aufzunehmen, sind hier einige vielversprechende Beispiele.“

Welche Angebote gibt es bereits und wie werden diese angenommen?​

Böckmann: „Die bisherigen Angebote sind oft noch im Stadium von Entwicklungs- oder Pilotprojekten und stehen kaum in der Regelversorgung zur Verfügung. Ausnahmen sind oft krankheitsspezifisch: So hat sich das Telemonitoring bei Herzinsuffizienz bereits durchgesetzt, auch Apps und Blutzuckermessgeräte für Diabetes sind schon recht verbreitet. Was noch völlig fehlt, ist die qualifizierte Vernetzung aller Beteiligten (Mediziner, Pfleger, Hilfsdienste und Angehörige) – die bei älteren Menschen ein großes Problem darstellt, da diese selbst manchmal nicht mehr in der Lage sind, alle wesentlichen Informationen zusammenzuführen und immer parat zu haben.“ Studien und bisherige Projekte zeigen, dass die Akzeptanz wesentlich von einer guten Qualifizierung abhängt. Ältere sind oft mit digitalen Technologien auch im Alltag noch nicht so vertraut wie Jüngere. Auch dort spielt die gezielte Einbindung Angehöriger eine Rolle, die nach einer ersten Einweisung dann mit ihren Eltern oder Partnern Dinge wiederholen können. Außerdem muss bei der Entwicklung der Produkte das Thema Usability (übersetzt: Benutzerfreundlichkeit) einen höheren Stellenwert bekommen. Zu hohe Komplexität, zu kleine Schrift, komplizierte Menüführung oder zu viele Funktionalitäten sind Hemmnisse diese Technologien zu benutzen. Eine weitere Voraussetzung für Akzeptanz ist, dass digitale Angebote die medizinische Versorgung durch Personen ergänzen, nicht ersetzen. Je besser gerade auch das medizinische Personal mit digitalen Technologien umgeht, umso mehr Vertrauen gibt es bei den Behandelten.

Welche Angebote könnte es künftig geben?

Böckmann: „Ich stelle hier mal ein fiktives Zukunftsszenario vor, für das die einzelnen Technologien bereits vorhanden sind: Herr Franz Lux bekommt immer öfter Atemnot, vor allem beim Treppensteigen und sucht daher seine Hausärztin Dr. Müller auf. Anhand der Auswertung der Daten seiner Smartwatch, die Herr Lux seit einem Jahr trägt, stellt sie einen signifikanten Anstieg seines Pulses unter Belastung fest. Verdachtsdiagnose: Herzinsuffizienz. Herr Lux bekommt ein EKG, das im Anschluss unter Hinzuziehen eines Kardiologen per Telekonsil (digitale fachliche Beratung zwischen mehreren Ärzten) den Verdacht bestätigt. Herr Lux wird ins Krankenhaus überwiesen, einen Termin kann seine Hausärztin bereits online buchen. Zu Hause bespricht Herr Lux alles in Ruhe mit seiner Tochter, dabei hilft der Zugriff auf seine elektronische Patientenakte (EPA), in der alle Informationen verfügbar sind. Er entscheidet, auch seine Tochter zum Zugriff zu berechtigen und lädt gemeinsam mit ihr noch seine Patientenverfügung hoch. Im Krankenhaus angekommen wird eine Aufweitung der Herzkrankgefäße durchgeführt, alle Dokumente der Hausärztin sowie seine Patientenverfügung liegen dem Krankenhaus in der EPA vor. Zur Entlassung wird der Medikationsplan in der EPA aktualisiert, wobei auffällt, dass Herr Lux als Selbstmedikation Diclofenac nimmt, was bei Herzinsuffizienz kontraindiziert ist. Er bekommt daraufhin eine ungefährliche Alternative verschrieben. Herr Lux wird bei der Entlassung nach Hause von einem Mitarbeiter begleitet, der Equipment für regelmäßiges Telemonitoring bei ihm zu Hause einrichtet – eine Waage und ein Blutdruckmessgerät. Der Mitarbeiter zeigt ihm, wie die Geräte bedient werden. Beide Werte wird er einmal täglich messen und dann in ein telemedizinisches Zentrum übertragen. Durch die kontinuierliche Überwachung der Werte wird sichergestellt, dass eventuelle Verschlechterungen frühzeitig auffallen. Um seine Fitness wieder aufzubauen, wird sein Fernseher mit einem Anschluss zur Nutzung interaktiver Übungsmodule ausgerüstet, die er einmal täglich durchführen soll. In der ersten Zeit ruft ihn einmal pro Woche eine Mitarbeiterin des Telemedizinzentrums an, bis sich eine gewisse Trainings-Routine entwickelt hat.“

Zur Person

Seit 2017 ist Britta Böckmann als Professorin Mitglied der med. Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Vor der Berufung war sie bis Februar 2006 als Vorstandsmitglied von TietoEnator für Vertrieb und Marketing des Krankenhausinformationssystems iMedOne im Gesundheitswesen verantwortlich. In dieser Rolle gestaltete sie insbesondere die Innovationen in der Produktentwicklung mit, aber auch die Entwicklung einer Marktstrategie im Rahmen von Akquisitionen und Mergern.
Bis 2001 war Britta Böckmann bei PriceWaterhouseCoopers als Senior Managerin in der Beratung verantwortlich für Organisationsentwicklung und IT-Strategie im Gesundheitswesen.

 

Zurzeit ist Britta Böckmann zusätzlich in folgenden Funktionen tätig:

  • Mitglied des Vorstands der DGTelemed
  • Mitglied des Fachbeirats Medizin.NRW
  • Aufsichtsratsmitglied der Doccheck AG und der Philips Deutschland
  • Beiratsmitglied der Gematik
  • Verwaltungsratsmitglied des Unispitals Basel